Zwei Orte, zwei Kantone, zwei Sprachen und dazwischen ein Fluss als Trennlinie: Christof Berner aus Erlach und Pierre Stamm aus Le Landeron erzählen von Annäherungsversuchen an der Sprachgrenze.
Die Strassen heissen Märit oder Spittelgässli, im Bistro Bärengraben bestellen Wanderer ein Egger-Bier, im Clubhaus trifft sich der Schützenverein: Das Städtchen Erlach BE am westlichen Fuss des Bielersees könnte einem bernischen Bilderbuch entstammen.
Doch fährt man dem See entlang Richtung Norden und überquert dabei die Zihl, tun sich neue Welten auf: «Bienvenue! Willkommen!» steht dort zweisprachig unter der Ortstafel von Le Landeron NE. Die Rue de la Croix führt direkt in die malerische Vieille Ville. Auf der Speisekarte des Restaurants Hôtel de Nemours stehen Schnecken und ein Absinth-Soufflé, daneben spielen ältere Herren Pétanque, und an der Zihl, die hier Thielle heisst, grüsst man sich mit Bonjour statt Grüessech. Der Kanal, der den Bieler- mit dem Neuenburgersee verbindet, markiert hier die Kantonsgrenze Bern/Neuenburg und trennt somit auch die Deutschschweiz von der Romandie.
Auf den zweiten Blick sieht man: Die Grenze ist weich. Das fängt bei Pierre Stamm (58) an, dem Dorfmetzger in Le Landeron: Sein Grossvater stammt aus Schaffhausen. Dass man Deutsch lernt, ist für ihn also selbstverständlich. «Es ist schade, dass das ökonomische Interesse für Englisch so gross ist. Zum Zusammenleben ist die jeweils andere Landessprache enorm wichtig», sagt Stamm. Doch die Romands hätten oft Angst, sich zu exponieren und sich auszudrücken. «Viele Generationen haben unter extremem Druck Deutsch lernen müssen. Das hat Spuren hinterlassen.» Man müsse sich halt etwas öffnen.
Integration in der Schule
Eine gewisse Offenheit gegenüber denen «ännet em Grabe» bestätigt auch Christof Berner (31). Er ist Gemeindeschreiber von Erlach und im Städtchen geboren. «Ich erlebe die Gegend hier als sehr durchmischt – auch politisch. Hier, an der Grenze, möchten wir den aktiven Austausch vorleben.» Das fängt früh an: Das 10. Schuljahr wird in der benachbarten Gemeinde gemacht, und im 3. Lehrjahr tauschen die Betriebe für einen Monat die Lehrlinge aus. Darüber hinaus hat das welsche Flair einen gewissen Charme: «Ich verbringe meine Freizeit gern in der Westschweiz», sagt Berner, «die Mentalität der Romands ist einfach anders und viel lockerer.»
Dass die Schweiz sich allmählich auch gegen innen öffnet, spürt man ebenfalls in Le Landeron: So will das Dorf demnächst die historische Partnerschaft mit Solothurn ausbauen. Die Annäherung ist nicht nur an den Ufern der Zihl spürbar: In der welschen Gemeinde Bas-Vully FR ist die Deutschschweizer Minderheit stark gewachsen. Und in Gals BE südlich des Zihlkanals ist mittlerweile rund ein Drittel der Gemeinde frankophon.
Doch ganz konfliktfrei ist das Zusammenleben in Gals nicht immer: Im Sommer 2012 sollen die Romands die Gemeindeversammlung geschwänzt haben, weil dort nur Berndeutsch gesprochen wurde. Mittlerweile konnte man sich auf Hochdeutsch einigen.
(Erschienen im Migros-Magazin, Mai 2015. Bild: Salvatore Vinci)