Der Geschmack einer Kindheit

Eine Geschichte über Mina, Nostalgie und mein Festessen.

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Die Zutaten meiner Kindheit: Brot, Eier, Milch, Butter, Zimtzucker. Arme Ritter, nennt man das Gericht in Deutschland, Pain Perdu in Frankreich, Fotzelschnitten in der Küche meiner Grossmutter Mina.

Seit meiner Geburt bin ich unsterblich in diese alte Frau verliebt. Sie hat ein schmales Gesicht, eine winzige Nase, rosarote Lippen. Ihre grauen Augen schliesst sie, wenn sie etwas erzählt. Ihre Haut hat die Farbe von Porzellan; ihr Haar ist Watte. Sie riecht nach Lavendel. Wenn sie ihr altrosa Twinset oder die Bluse mit den Pünktchen trägt, sieht sie aristokratisch aus. Meine Eitelkeit habe ich von ihr geerbt. Meinen Perfektionismus, meine Kompliziertheit und meinen Stolz auch.

Als ich noch zur Schule ging, hat sie oft für mich und meine Schwester gekocht. Wie im Restaurant: mit weissen Servietten und einer ungeheuerlichen Pünktlichkeit. Anne-Sophie Catherine und Valerie Ruth speisten wie Prinzessinnen.

Manchmal ganz besonders. Dann, wenn drei Teller neben der Bratpfanne standen. Im ersten: acht dicke Scheiben Brot. Im zweiten: zwei Deziliter Milch. Im dritten: drei verquirlte Eier. Meine Grossmutter nahm das Brot mit ihren kräftigen Händen, tunkte es in der Milch, badete es in den Eiern und legte es in die Butter, die bereits in der Bratpfanne brutzelte. Sobald die Scheiben golden waren, legte Grosi sie auf eine weisse Platte und berieselte das duftende Türmchen mit Zimtzucker.

Ich habe zuhause in Zürich kein einziges Mal selber Fotzelschnitten gemacht. Brot, Eier, Milch, Butter und Zimtzucker. So wenig braucht es. Aber die wesentlichen Zutaten fehlen: Meine Grossmutter, ihre Schürze, ihr Duft, ihre Liebe, meine Kindheit.

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