Der letzte Citoyen

Mit seiner fünfseitigen Tirade zur Lage der Nation sorgte Lukas Bärfuss (43) für ein gewaltiges Geraschel im Schweizer Blätterwald und löste eine öffentliche Debatte zum Thema Identität aus. 

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Sie nannten ihn «Extremist», «Wutschreiber», «brachialer Katalysator politischer Meinungsbildung», «Genughaber». Er wurde mit Max Frisch verglichen, mit Friedrich Dürrenmatt. Und er sorgte für den wohl kontroversesten Artikel des Wahlherbstes: Lukas Bärfuss.

Am 15. Oktober veröffentlichte der Thuner Autor in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» unter dem Titel «Die Schweiz ist des Wahnsinns» einen Gastbeitrag, der Wellen schlug. Auf fünf Seiten grub Bärfuss eine tiefe Furche in die Schweizer Gesellschaft, Politik, Kulturszene, Finanzwelt, Medienlandschaft und Wirtschaft. Was dabei hervorkam, stank dem 43-Jährigen gewaltig. Ein «Land von Zwergen» sei die Schweiz. Die Medienlandschaft ohne Rückgrat und durchwandert von rechten Parteien. Die Politik mutlos angesichts der Herausforderungen des Wahlkampfs. Die Wirtschaf durch den Einkaufstourismus angeschlagen und die Zivilbevölkerung vor lauter populistischer Parolen verängstigt.

Konkrete Verbesserungsvorschläge lieferte Bärfuss keine; Verallgemeinerungen einige. Bereits am Folgetag der Abrechnung bezogen Tages-Anzeiger und NZZ Stellung. «Bärfuss gebärdet sich, als hätte er den missionarischen Auftrag, die Schweiz vor dem sicheren Untergang zu retten», hiess es da. Über diese mit blinder Wut vorgetragenen Verwünschungen und Vorwürfe liesse sich schwerlich debattieren.

Doch genau das geschah. Von «Weltwoche»-Chef Roger Köppel bis hin zum Oltner Autoren Pedro Lenz war Bärfuss’ Text das Thema der Stunde. Man kann von Lukas Bärfuss halten, was man will. Doch er hat ein Land bewegt, das eine Debatte über die eigene Identität bitter nötig hatte.

(Aus der Serie «Menschen, die uns beeindruckt haben»; erschienen im Migros-Magazin, Dezember 2015. Bild: Frederic Meyer für lukasbaerfuss.ch)

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