Für Reisende, die Fernweh mit Sinnsuche unter einen Hut bringen möchten, ist ein Yoga-Retreat perfekt. Das Gäste- und Seminarhaus Lykia in Adrasan in der Südtürkei bietet alles für eine Auszeit vom hektischen Alltag.
Nach drei Flugstunden geht das Abenteuer los: In einem Kleinbus rumpeln wir vom Flughafen Antalya direkt Richtung Paradies. Es ist 35 Grad, mit glühenden Gesichtern schauen wir aus dem Fenster. Der Motor surrt; ab und zu knistert ein PET-Wasserfläschchen. Sobald sich das grossstädtische Chaos Antalyas lichtet, erblicken wir das Meer; am Ufer reihen sich Campingplätze an Strandrestaurants. Wir passieren den Touristenort Kemer und fahren weiter dorthin, wo der Massentourismus noch nicht hingefunden hat: nach Adrasan.
Wir, das ist eine Ladung gestresster Grossstädter, die unter der türkischen Sonne Entspannung suchen. Die meisten Gäste kommen aus Deutschland, manche aus Österreich und in dieser Woche nur zwei aus der Schweiz: Michel Keller und ich, mit dem ich zwar den Nachnamen, aber nicht die Familie teile. Zwei Stunden später nimmt der vollbepackte Kleinbus das schmale Natursträsschen hoch zum Gäste- und Seminarhaus Lykia. Zwischen den Granatapfelbäumen, die hier so zahlreich wie Apfelbäume in der Ostschweiz wachsen und auch etwa so aussehen, sind 33 Bungalows versteckt. Mittendrin stehen das Haupthaus, ein grosser Pool mit glasklarem Wasser und eine Terrasse mit Meersicht. Hier kann das ja nicht so schwer sein, «zen» zu werden.
Aller Anfang ist schwer
Und dennoch bin ich skeptisch. Vor einigen Jahren habe ich regelmässig Power Yoga gemacht. Seither ist die Bezeichnung «bewegungsresistent» wohl passender für mich. Ganz allein bin ich damit nicht. Michel Keller (42) ist mit seiner Freundin Csilla (42) aus Zürich angereist. Der selbständig erwerbende LKW-Fahrer hat letzten Herbst nach einem Rückenvorfall zum Yoga gefunden. «Das hat mir enorm geholfen. Csilla zeigte mir dann einen Prospekt des ‹Lykia›, und ich war sofort begeistert. Die Ferien mal anders verbringen, ein neues Land entdecken und Ausflüge machen schien mir interessant.» Mir scheint vor allem die Vorstellung von zwei Stunden Yoga pro Tag «interessant». Denn die finden noch vor dem Frühstück statt. Inwiefern mich das frühe Aufstehen entspannen soll, ist mir schleierhaft.
Glücklicherweise sind die Yogastunden diese Woche in zwei Klassen unterteilt. Anfänger und solche, die es etwas gemächlicher mögen, besuchen das Yoga Soft von Nina. Wer es etwas dynamischer mag, ist bei Jana gut aufgehoben. In ihrem Kurs wechseln sich Entspannungs- mit Dehnungssequenzen ab. Bei keinem der Kurse muss man besonders flexibel oder gelenkig sein. «Es geht um Achtsamkeit. Jeder kann Yoga praktizieren», sagt Nina. Positive Auswirkungen gibt es viele: Yoga hilft bei Rückenbeschwerden, stärkt die Muskeln, sorgt für einen ruhigen Schlaf, kurbelt die Verdauung an und verbessert die Konzentration.
So esoterisch, wie ich mir das vorgestellt habe, ist das also gar nicht. Auf die abendlichen Meditationsstunden bin ich gespannt. Bei der Tanzmeditation stehe ich zuerst etwas ratlos im Raum, während meine Co-Yogis mit geschlossenen Augen trance-artig ihren Bewegungen nachgehen. Nach einer halben Stunde steige auch ich ein.
Wasser und Feuer
Die Woche im «Lykia» heisst nicht umsonst «aktive Auszeit». Während der sieben Tage können zahlreiche Ausflüge separat gebucht werden. Besonders beliebt ist der in die antike Stadt Olympos. Ein Besuch in Adrasan empfiehlt sich ebenso: Die Bevölkerung ist aufgeschlossen, gastfreundlich und unabhängig vom ausländischen Tourismus – am Strand trifft man hauptsächlich einheimische Touristen. Die Region hat sich seit Langem dem Naturschutz verschrieben. Lilien, Oleander, Orangen, Maulbeeren, Granatäpfel und Feigen verströmen ihren lieblichen Duft, je nach Saison.
Während der zwei Bootstouren, die wöchentlich stattfinden, geht es die Küste entlang hinaus ins Blaue. Beim ersten Zwischenstopp schwimmt man mit Führer Ilhan in eine Höhle hinein, die am hinteren Ende stockdunkel ist. An einem anderen Stopp können sich die Besucher mit einem mineralhaltigen Schlamm einreiben und danach mit seidiger Haut wieder ins Boot klettern. Zwischendurch serviert der Kapitän Fisch, direkt aus dem Meer.
Mitte der Woche melde ich mich für die Stillewanderung an, bei der es im Dunkeln losgeht. Auf einem schmalen Ziegenpfad marschiert unsere Gruppe an würzig duftenden Sträuchern und steilen Klippen vorbei dem Gipfel entgegen – ich tschumple gähnend hinterher. Der Sonnenaufgang macht jedoch alles wett. So langsam freunde ich mich mit dem Konzept der Aktivferien an.
Am nächsten Tag fahre ich mit einer Gruppe nach Çıralı. Am Rand des Dorfs führt ein steiler Weg hoch zu den ewigen Feuern der Chimära. Seit Jahrtausenden brennen dort auf den Hügeln Gase, die aus Felsrissen austreten. Überlieferungen zufolge sollen die Flammen in der Antike Seefahrern bei der Orientierung geholfen haben. In Zweierreihen und mit je einer Taschenlampe ausgestattet, stolpern wir in der Dunkelheit hinunter zum Meer. Schweissgebadet springen wir im Sternenlicht in die schwarzen Fluten, bevor wir den Tag im Restaurant Ikiz bei gutem Essen und einer Runde Raki beenden.
Die Menschen im «Lykia»
Verantwortlich für die gelungene Kombination aus türkischer Gastfreundschaft und deutscher Organisation ist das Betreiberpaar Nina Meissner (40) und Ismail Güngör (34). Güngör, dessen Mutter aus Adrasan stammt, hat einige Jahre in München gelebt und spricht Deutsch. 2007 eröffnete er das «Lykia» – damals noch als einziger Anbieter von Yogaferien in der Umgebung. «Die Lage hier bietet so viel mehr als Badeurlaub. Ich habe schon einige Jahre Yoga gemacht. Schliesslich wurde das auch der Schwerpunkt des Gäste- und Seminarhauses», sagt er. Heute bieten in der Gegend auch andere Betreiber Yogaferien an. Nina Meissner reiste 2010 als Gast nach Adrasan und verliebte sich nicht nur in den Ort, sondern auch in Ismail. Im Februar 2011 kündigte sie ihren Job und zog aus dem Ruhrgebiet unter die Sonne von Adrasan. Seither leitet das Paar das «Lykia».
Im Haus kümmern sich 15 türkische und zwei deutsche Mitarbeiter elf Monate im Jahr um die Gäste. Das Essen ist reichhaltig, auf Wunsch glutenfrei und vegetarisch. Erst am letzten Abend kommt ein Stück Fleisch auf den Grill. Morgens gibt es vegane Pancakes, würzige Gemüse-Omelettes oder süssen Milchreis aus Ziegenmilch.
Das Fazit nach einer Woche
In Erinnerung bleiben die Yogastunden, in denen man enorm mit sich selber konfrontiert wird. Beim einen oder anderen Gast kommen noch während der Stunden Emotionen hoch – auch bei mir. Natürlich liegt das an der schönen Umgebung. Natürlich liegt das auch an den Gesprächen mit anderen Reisenden. Natürlich liegt das auch an der Pause von der Aussenwelt – Wi-Fi sucht man in den Bungalows vergeblich. Doch ich glaube mittlerweile an die Wirkung von Yoga. Meinem Landsmann Michel gehts ähnlich: «Nach einer Woche sehe ich vieles gelassener und mit anderen Augen. Und ich bin offener geworden. Yoga ist keineswegs bloss ein Frauending. Mann muss das einfach ausprobieren.»
Der Philosoph Ralph Waldo Emerson sagte einst: «Nicht in die Ferne, sondern in die Tiefe sollst du reisen.» Sie wollen beides? Dann ab in die Yogaferien.
(Erschienen im Migros-Magazin, Januar 2016. Bilder: Lea Meienberg)
1 Kommentar
Du hast sogar mich als Yogaberatungsresistenter fast davon überzeugt, mal selbst den Sonnenkreis auszuprobieren. Wenn es danach einen Raki gibt…