Die stärkste Zeitung der Schweiz und Sexismus: ein offener Brief an Blick.ch-Chefredaktor Rüdi Steiner und People-Ressortleiter Dominik Hug

Warum ich nicht weiter bereit bin, die frauenfeindliche Berichterstattung des Blicks als journalistische Norm zu akzeptieren.

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Lieber Rüdi Steiner, lieber Dominik Hug

Am 10. April 2015 publizierte eine Blick.ch-Schreibkraft unter Ihrer Verantwortung einen Artikel mit dem Titel «Vaginal-Tabletten in Frieda Hodels Kühlschrank: Fieses Souvenir vom ’Bachelorette’-Dreh?» In den darauffolgenden 1400 Zeichen stellen Sie die 31-Jährige auf vernichtende Weise bloss. Sie machen sich über ihre Gesundheit lustig und unterstellen ihr, es auf dem Set womöglich etwas zu bunt getrieben zu haben.

Eins vorweg: Im Laufe ihres Lebens leidet beinahe jede Frau mindestens einmal an einer Vaginalmykose, die zu den häufigsten genitalen Infektionen gehört. Fast jede gesunde Frau besitzt die Erreger in ihrem Intimbereich. Für den Ausbruch gibt es oft psychosomatische Faktoren. Hormonelle Schwankungen wie Schwangerschaft, Wechseljahre oder das Einnehmen der Pille führen ebenfalls oft zu einer Erkrankung. Zu den gängigsten Arten gehört der Scheidenpilz nach der Einnahme von Antibiotika. Manchmal reicht auch nur ein Tag im Hallenbad, um die Vaginalflora aus dem Gleichgewicht zu bringen. Wechselnde Sexualpartner sind hingegen bloss eine von vielen Ursachen.

Die Unterstellung «Souvenir vom Bachelor-Dreh» ist ein Paradebeispiel für Body- und Slut-Shaming, das in der heutigen Boulevard-Kultur oft und gerne betrieben wird. Indem Sie solche Artikel publizieren, geben Sie Lesern wie Lionel Werren eine Steilvorlage: «Was solls, das kommt vom rumbumsen. Ist nur menschlich ääh weiblich [sic!]», so sein Online-Kommentar.

Lassen Sie uns doch mal kurz die Richtlinien des Schweizer Presserates repetieren.

Absatz 7: «[JournalistInnen] respektieren die Privatsphäre der einzelnen Personen, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt.»

Ich finde nicht, dass ein Scheidenpilz Bestandteil des öffentlichen Interesse ist. Auch hier gehört der oft gehörte Oxford-Satz zitiert: Viel zu oft wird «the public interest» (das kollektive öffentliche Interesse) mit «the public’s interest» (der Neugier des Pöbels) verwechselt. Die «stärkste Zeitung der Schweiz» sollte sich dessen bewusst sein. Ums etwas verständlicher zu formulieren: man muss nicht jeden Scheiss bringen, nur weil ein paar gelangweilte Menschen derart darauf aufspringen.

Absatz 8: «[JournalistInnen] respektieren die Menschenwürde und verzichten in ihrer Berichterstattung in Text, Bild und Ton auf diskriminierende Anspielungen, welche (…) das Geschlecht, die sexuelle Orientierung, Krankheiten (…) zum Gegenstand haben.»

I rest my case. JournalistInnen sichern den öffentlichen Diskurs. Jedoch hat die Verantwortlichkeit gegenüber der Öffentlichkeit den Vorrang vor jeder anderen.

Ich erhielt auf meinen Facebook-Kommentar zu Ihrem Artikel eine Schwemme von Mails. Von Männern, die den Artikel daneben fanden. Von Frauen, die sich bedankten, dass solche Missstände angesprochen werden. Und von Geschlechtsgenossinnen, die mir prompt ein paar Bilder aus ihrem Kühlschrank und Medizinschränkchen sendeten (siehe unten, ZVG). Wir sind Team Frieda.

Und wir sind uns einig: Die Art, wie über den weiblichen Körper berichtet wird, muss aufhören. Der weibliche Körper ist kein Objekt. Er ist ein Körper. In den meisten Fällen nicht das, was Sie unter perfekt verstehen. Sondern lebendig und menschlich. Mit Krankheiten. Blutungen. Cellulite. Schamhaaren. Schwangerschaftsstreifen. Narben. Nichts davon gibt Ihnen das Recht, so über ihn zu schreiben.

2010 hat die Blick-Gruppe den Hängebusen der frischgebackenen (und wirklich wunderschönen) Mutter Ladina Blumenthal zum BaA-Titelblatt gemacht. Body-Shaming scheint bei Ihnen Tradition zu haben. Vielleicht wäre es mal an der Zeit, einen neuen Kurs einzuschlagen.

Der weibliche Körper ermöglicht uns Frauen, Studienabschlüsse zu machen. Er trägt uns auf Reisen um die Welt herum. Er kann Kinder gebären. Er lässt uns sexuelle Befriedigung verspüren. Er ist stark genug, fünf Jahre länger als ein männlicher Körper zu überleben.

Er verdient Respekt. Auch von Ihnen.

Freundliche Grüsse, eine Gruppe um Anne-Sophie Keller

(Erstmals publiziert auf meinem alten Blog, April 2015. Bild: ZVG)

Nachtrag Dezember 2015: Der Text wurde über 45’000 Mal gelesen und auf dem deutschen Bildblog zitiert. Der Presserat hat meine Beschwerde in einem ausführlichen Bericht teilweise gutgeheissen.

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