Kein Wahlkampf geht ohne sie über die Bühne: Tausende Helfer und Helferinnen stehen seit Wochen unermüdlich für ihre Parteien im Einsatz. Wer sind sie? Was treibt sie an?
Sie sprechen stundenlang fremde Menschen auf der Strasse an, telefonieren in ihrer Freizeit Wählerlisten ab oder unterstützen die Kandidierenden moralisch. Die Helferinnen und Helfer sind ein entscheidender Faktor des Wahlkampfs. Bis zum 18. Oktober wird noch viel ehrenamtliche Arbeit geleistet – aus politischer Überzeugung oder als Freundschaftsdienst.
Der persönliche Kontakt ist dabei entscheidend: «In der Romandie sind wir nahe an den Leuten und gehen beispielsweise in Genf von Tür zu Tür», sagt CVP-Generalsekretärin Béatrice Wertli. Die SVP zählt auf alle 90 000 Mitglieder als Wahlkampfhelfer; sie sollen Verwandte und Bekannte im persönlichen Umfeld bearbeiten. Bei der FDP machen viele der Kandidierenden zu Fuss oder mit dem Fahrrad eine Tour durch ihren Kanton und kommen so ins Gespräch mit der Bevölkerung. Die Sozialdemokraten haben über den Sommer landesweit rund 400 sogenannte Küchentischgespräche organisiert und setzen erstmals im grossen Stil auf Telefonate.
Tiere und Kugelschreiber
Bereits im Sommer versperrten Wahlhelfer die Trottoirs und drückten Passanten Give-aways in die Hand. Tiere bleiben bei den 50. eidgenössischen Wahlen seit 1848 verschont: Die SVP hat Geissbock Zottel nach dessen spektakulärer Entführung vor vier Jahren durch Plüsch-Sennenhund Willy ersetzt. Und die SP hat ihre Klamaukvideos «Mach das Zebra nicht hässig» von 2011 nicht neu lanciert.
Laut Bundesamt für Statistik hoffen derzeit 3802 Personen auf einen Platz im Parlament – ein Rekord. Die Kandidierenden akquirieren ihre Helferteams meist selber. «In der Regel können die Parteien die Kandidaten nicht genug unterstützen», sagt der Schweizer Politologe Andreas Ladner (57). «Im Idealfall hat man eine Lokalsektion hinter sich. Ansonsten ist es der Bekannten- oder Familienkreis, der mitmacht. Oder man schafft es, ein Komitee zu gründen.» Eine Herausforderung sind dabei die sinkenden Mitgliederzahlen der Parteien. «Früher hatte man durch die Parteizugehörigkeit noch einen gewissen Informationsvorsprung», sagt Ladner. «Heute erfährt man das meiste aus der Presse. Ausserdem haben die Leute noch viele andere Verpflichtungen.»
Hier rollt der Rubel
Trotz aller ehrenamtlichen Arbeit wird 2015 wohl der teuerste Wahlkampf aller Zeiten. Eine Studie der Forschungsstelle Sotomo besagt, dass allein für Inserate, Plakate und Kinospots 2011 bereits 42 Millionen Franken flossen. Heuer werden die Zahlen noch höher sein.
Die nationalen Budgets der Parteien belaufen sich nach eigenen Angaben auf zwischen 200 000 (Grüne) und 3,5 Millionen Franken (FDP). Die Unternehmen spielen bei der Finanzierung zunehmend eine wichtige Rolle – oft nicht nur aus Goodwill, sondern in der Hoffnung auf eine Gegenleistung. In vier Wochen wird sich zeigen, welche Investitionen sich auszahlen.
Reto Weibel (33, SP/ BS): Unter Freunden
Dienstagabend am Claraplatz Basel. Herbstanfang, es regnet, vom Feierabendlärm ist wenig zu spüren. Beim Gebäude, in dem sich die SP Basel-Stadt befindet, merkt man schnell, welche Partei hier zu Hause ist: Ein Velo mit knallrotem SP-Anhänger steht neben dem Lift. Oben haben sich zwischen Kisten, gefüllt mit Flyern und Plakaten, drei Wahlhelfer um Beda Baumgartner (23) versammelt, den Präsidenten der Juso Basel-Stadt. Einer von ihnen ist Reto Weibel.
Er ist seit zwölf Jahren SP-Mitglied und hat sich heute für einen Telefonanlass angemeldet. «Wir rufen andere Mitglieder an und versuchen, sie für Parteianlässe zu mobilisieren oder von einer Spende zu überzeugen», sagt der Finanzfachmann. Er hat an diesem Tag zwei Stunden telefoniert, das Tagesfazit ist mit 21 abgeschlossenen Gesprächen und 7 Zusagen positiv. Das ist quasi sein Lohn. Die Stimmung ist kollegial und gemütlich. «Aktionen wie heute machen Spass, auch, weil man alte Freunde mal wiedersieht», sagt Weibel. Den Wahlen sieht er gelassen entgegen: «Wenn wir es schaffen, genügend Leute zu erreichen, bin ich zuversichtlich, dass wir ein paar Prozente zulegen und in Basel einen dritten Sitz holen können. Ich werde immer optimistischer.»
Fränzi Schmid (66, SVP/ZH): Wahlkampf bei Züpfe und Ländler
Bisikon ist ein beschaulicher Flecken im Zürcher Oberland. Am 30. August jedoch fahren statt Traktoren Minivans durch die 400-Seelen-Idylle. Eifrig schleppen Helfer Kisten mit SVP-Tischtüchern, SVP-Servietten und SVP-Visitenkarten in die ehemalige Tabakscheune. Die Volkspartei lädt zum Buurezmorge.
Fränzi Schmid hat – unterstützt von ihrem Team – die Zügel fest in der Hand. «Ich war 45 Jahre lang Reisefachfrau, das Organisieren liegt mir», sagt sie. 150 Leute werden erwartet; bereit stehen zwölf Kilo hausgemachte Züpfe. Das Budget ist geheim. Zur SVP kam Fränzi Schmid vor 20 Jahren. Ihr Mann sei damals schon in der Partei gewesen. Während sie am Buurezmorge herumwirbelt, sagt Nationalratskandidat Stefan Krebs auf dem Podium, er vermisse die Bodenhaftung der Politiker. Durch die Menge geht ein zustimmendes Raunen. Dazwischen spielt das Ländlertrio Alpenblick Wallisellen. An der SVP schätzt Schmid, dass sich die Partei für die Bauern einsetzt. Ihr Umfeld sei politisch durchmischt, doch in Asylfragen sei man sich einig: «Das Elend macht betroffen. Aber man muss die Probleme dort unten lösen.» Dann muss sie weiter: An der Kasse fehlt Münz, eine Besucherin sucht die Toilette, und Tochter Rita sagt, es brauche mehr Konfi.
Thierry Li-Marchetti (30, GLP/LU): Debattieren statt feiern
Statt Ausgang war bei den zehn Nationalratskandidatinnen und -kandidaten der Jungen Grünliberalen (GLP) Luzern am Abend des 3. September Politik angesagt: In einer WG in der Nähe des Bahnhofs traf man sich zu Bier und Debatte. Mittendrin: Thierry Li-Marchetti. Bei der GLP ist er für die Kommunikationskanäle verantwortlich. Konkret heisst das: Social Media, Blogs, Website. Zudem kümmert er sich um die Marketingarbeit – nicht für Lohn, sondern aus politischer Überzeugung. «Wir betreiben Sachpolitik und beschäftigen uns nicht mit irgendwelchen Grabenkämpfen», sagt er über seine Partei.
«Viele junge Leute haben in der Schweiz eigentlich keine grossen Probleme. Dass wir Politik machen, ist eher Luxus als Notwendigkeit», sagt der Kommunikationsspezialist. Das Durchschnittsalter an diesem Abend liegt bei 24 Jahren. Alle studieren oder haben das Studium bereits abgeschlossen. «Das wird uns ja oft auch vorgeworfen», sagt Li-Marchetti, «dass wir zu akademisch sind.» Schlecht sei das aber nicht: «Innerhalb der Partei gibt es zum Teil recht unterschiedliche Meinungen. Am Ende findet man aber immer einen sinnvollen Konsens.»
(Erschienen im Migros-Magazin, September 2015. Bilder: Gabi Vogt)