Im November wurde ich von den «Jungen Journalisten Schweiz» für ein Input-Referat zum Thema Journalismus und Karriere angefragt. Gehalten habe ich es am Medienforum «Journalismus Jetzt».
«Der Journalismus ist die Hölle. Der Journalismus ist ein Abgrund, in dem alle Lügen und alle Ungerechtigkeiten lauern. Niemand bleibt rein, der ihn durchschreitet.»
Das sagt zumindest Honoré de Balzac. Ich arbeite seit fünf Jahren in Zürich als Journalistin und bin heute hier, um euch zu sagen, dass man auch journalistisch überleben kann, ohne ein zynisches Arschloch zu werden.
Mit 20 zog ich vom Berner Oberland in die Zürcher Grossstadt, um bei tilllate.com als Nightlife-Journalistin anzufangen. Die vier darauffolgenden Jahre waren eine einzige Eskapade aus Sex, Drinks und journalistischem Rock’n’Roll. Ich traf Popstars, wurde auf fancy Pressereisen geschickt, schrieb über Jugendkultur und One-Night-Stands, landete mit meinen Texten auf Titelseiten und stand auf jeglichen Gästelisten der Zürcher Cüpli-Events.
Ich verabschiedete mich von meiner Work-Life-Balance, arbeitete Nächte durch, feilte sorgfältig an meinem Image als Enfant Terrible, scharrte ein illustres Netzwerk um mich, baute mit einem Kollegen die tilllate.com-Redaktion auf, arbeitete bei Edipresse in Lausanne, bloggte von Paris aus, machte den Event-Teil des Friday Magazines und schrieb für 20 Minuten.
Irgendwo dazwischen versuchte ich, so etwas wie erwachsen zu werden. Es war die Zeit meines Lebens. Bis auf einen kleinen Haken.
Mit 24 merkte ich, dass ich eigentlich kein Leben, keine Hobbys und keine regelmässigen Kontakte ausserhalb der Branche mehr hatte. Und nachdem ich während vier Jahren über so ziemlich jedes Web-Phänomen und One-Hit-Wonder berichtet hatte, gingen mir langsam die Ideen aus. Ich wurde selbstreferenziell. Ich verlor jeglichen Kontakt zur Aussenwelt und schrieb nur noch für meine Peer-Group, meine Bubble, mein soziales Netzwerk.
Ich wusste: so kann das nicht weitergehen. Da machte ich den ersten grossen Fehler meiner Karriere. Ich informierte meine Vorgesetzten darüber, dass ich mich nach einem neuen Job umschaue. Loyalität und so. Drei Wochen später wurde ich entlassen. Die Einladung dazu kam am Vorabend um 21 Uhr per Mail. Das Lernen begann:
Lektion 1: Du bist nicht unersetzbar.
Lektion 2: Am Ende des Tages sagt dir niemand danke.
Lektion 3: Gute Arbeit und Ehrlichkeit zahlen sich nicht immer aus.
Meine Reaktion: Fuck this shit, I’ll be a princess. Also zog ich kurzerhand nach Frankreich in ein 600 Jahre altes Schloss, um bei einem leicht hippiemässigen Renovations-Projekt mitzuarbeiten. Inmitten der Burgunder Pampa taten sich neue Welten auf. Ich lernte Menschen kennen, deren Lebensentwürfe so gar nichts mit 9to5-Job, monogamen Beziehungsformen oder festem Wohnsitz zu tun hatten. Ich sass während vier Monaten mit meiner Grossfamilie abends um ein Lagerfeuer, trank Wein und sprach über Gott, die Welt ohne ihn und das Big Picture. Das echte Leben halt.
Etwa zu dieser Zeit wurde ich Feministin. Warum, kann ich bis heute nicht sagen. Es gab nie so etwas wie eine Initialzündung. Jedoch denke ich, dass Medienhäuser mit ihrem konstanten Sexismus ein ziemlich guter Nährboden für feministische Keime waren. Mein erster Beitrag, eine kleiner Retrospektive über meine «Journey To Feminism», wurde über tausend Mal gelesen und über 300 Mal auf Facebook geteilt.
Lektion 4: Wenn du dich wirklich für etwas begeisterst, wenn du dir wirklich Mühe gibst und wenn du den Mut hast, das Kind beim Namen zu nennen, dann hören dir in der Schweiz ziemlich viele Leute ziemlich schnell zu.
Kurz darauf holten mich die Jungs vom Openair Frauenfeld zurück in die Schweiz, um mich im Kommunikationsteam anzustellen. Irgendwann war auch dieser Spass vorbei. Und dann wurde es Herbst. Ich dachte eigentlich, gute Chancen auf eine rasche Anstellung zu haben. Die Realität war anders.
Lektion 5: Es gibt aus finanziellen Gründen wenige gute Jobs im Journalismus.
Lektion 6: Auch das beste Netzwerk wird dir nicht deine Karriere retten. Dafür musst du schon selber arbeiten.
Lektion 7: Manchmal muss man etwas Geduld haben.
Damals war ich ziemlich weg vom Fenster und die Einladungen zu all den tollen Events blieben aus. Ich hockte zuhause rum und schaute zu, wie mir langsam die Decke auf den Kopf fiel. Was geholfen hat? Schreiben, schreiben, schreiben. Auch wenn ich die meisten Texte aus dieser Zeit nie veröffentlicht habe.
Stephen King sagte mal: «Writing isn’t about making money, getting famous, getting dates, getting laid, or making friends. In the end, it’s about enriching the lives of those who will read your work, and enriching your own life, as well. It’s about getting up, getting well, and getting over. Getting happy, okay? Getting happy.»
Ich fand schliesslich einen Job als Lifestyle-Redaktorin bei einem kleinen Verlag und konnte meine Miete wieder bezahlen. Nachdem ich jedoch beim besten Willen nicht dazu fähig war, einen Lead über für mich triviale Dinge wie Etagèren zu schreiben, wusste ich, dass ich am falschen Ort bin.
Zwei Wochen vor den Aufnahmeprüfungen schrieb ich mich für die Journalistenschule MAZ ein und bewarb mich beim unspektakulären stillen Riesen namens Migros-Magazin. Ich brauchte Boden unter den Füssen und Fleisch am Knochen. Von Prestige hatte ich genug.
Ich büffelte Tag und Nacht, wälzte Geschichtsbücher, repetierte Recht, vergrub mich in Wirtschaftsnews, brachte mein Staatskunde-Wissen auf Vordermann und erstellte Listen zu Literaturklassikern und anderen möglichen Allgemeinwissens-Fragen. Nebenbei bloggte ich fleissig weiter. Ich hörte damit auf, Everybody’s Darling sein zu wollen, und entwickelte das, was man gemeinhin als Charakter bezeichnet.
Und dann kam alles gut. Ich bestand die Aufnahmeprüfung am MAZ und wurde beim Migros-Magazin angestellt. Meine Chefin überzeugten meine guten Noten und das selbstständige Auftreten; der Chefredaktor fand womöglich, dass seine Redaktion eine Unruhestifterin vertragen würde.
Für mich war das unglaublich wertvoll: Nicht jedes Medienhaus mag es, wenn junge Journalistinnen ihre Meinungen vertreten. Zudem sind Vorgesetzte, die einen unterstützen, und ein Team, das einem Erfolge gönnt, unglaublich rare Güter. Mein jetziger Job ist so ziemlich das Gegenteil von früher: Ich habe den Freiraum, an langen Reportagen und Porträts zu arbeiten. Auf der anderen Seite liegt der Glamour-Faktor etwa bei Null. Und das ist auch gut so.
Ich habe Zeit, mich um die wichtigen Dinge zu kümmern und eine gute Journalistin zu werden. Was das für mich heisst? Die Wahrheit schreiben. Auch wenn sie weh tut. Kritisch sein und Dinge hinterfragen. Absagen nicht kampflos hinnehmen. Akzeptieren, dass man ein fehlbarer Mensch ist. Und schliesslich: Etwas verändern. Als Journalistinnen und Journalisten erreichen wir mit unseren Stimmen ein enormes Publikum. Aber: With great power comes great responsibility.
Ich für meinen Teil hatte mein Kampffeld gefunden. In einer Nacht und Nebel Aktion verfasste ich vor rund einem halben Jahr einen offenen Brief an die Blick-Chefredaktion und prangerte den konstanten Sexismus des Blattes an. Das Ding zu veröffentlichen war das furchteinflössendste, was ich jemals gemacht habe. Ich wusste: Die Karriere-Türe zu Ringier hatte ich womöglich zugeschlagen.
Und dann geschah das unglaubliche: Mein Text wurde 45 000 Mal gelesen, mehrere tausend Male geteilt und schaffte es bis auf den deutschen Bildblog. Es hat sich herausgestellt: In Zeiten wie diesen, in denen fast alle Redaktionen (auch an Qualität) sparen, braucht es Journalistinnen und Journalisten mit Haltung.
Lektion 8: Seid kritisch. Seid mutig. Macht nicht alles, was von euch verlangt wird.
Lektion 9: Bringt euch in Sitzungen ein. Traut euch was. Feiglinge gibt es genug. Wir sind die Zukunft. Und das Modell der Redaktions-Dinosaurier scheint ja nicht wirklich funktioniert zu haben.
Einfach ist das nicht. Journalismus ist ein Haifischbecken geworden. Shitstorms und Neid gehören zum Alltag. Man gönnt einander wenig. Zu viele Journis wurden Maschinen, die mit Koffein und Nikotin betrieben werden. Und einige Redaktionen wurden unter all dem finanziellen Druck zu journalistischen Verrichtungsboxen.
Man könnte sich dem anpassen und ebenfalls zum fluchenden Hypochonder mit Röhrenblick mutieren. Oder man macht es besser und arbeitet an sich selber. Don’t let people rain on your parade. Es braucht dringend gute Leute. Und es braucht alle Charaktere – auch die sensiblen. Das merkt früher oder später auch die Leserschaft.
Zum Schluss Lektion 10: Sobald ihr einen guten Job macht, wird es ziemlich sicher Gegenwind geben. Die schlechte Nachricht: Das wird nicht besser werden. Die gute Nachricht: Ihr werdet besser werden.
Ich wünsche euch alles Gute für euren Weg im besten Job der Welt.
(Illustration: Tobias Maurer)
Der Text wurde in der Rubrik «Frisch ab Presse» der Medienwoche aufgeführt.
Zudem ist er im Dossier «Journalistische Praxis» des Medienmonitors hinterlegt.
1 Kommentar
ach Anne-Sophie du bist so wunderbar <3